V. AUSBLICKE.
Das mir nun als gelöst erscheinende Problem der Identifizierung der Somapflanze erlaubt es, auch andere, verwandte Themen von einem neuen Blickwinkel aus zu betrachten, wie z.B. folgende:
1. Ein Falke brachte den somahaften Honig.- Der Honigbussard ist ein knapp 70 cm langer Greifvogel, der in Unterarten von Europa bis Japan vorkommt, in Indien z.B. als Pernis apivorus orientalis Taczanowski (Abb. 25). Er ist auf Bienen- und Wespenwaben spezialisiert. Man kann beobachten, wie er Waben „bringt“, d.h. wie er Stücke aus einer Wabe von A. dorsata herausreißt, sich damit auf einem Baum oder Felsen niederläßt und Wabenteile mit Bienenbrut und Honig verspeist. Die aggressiven Bienen können ihm wegen eines speziellen Gefieders nichts anhaben. Bei der Vergöttlichung des Somastengels könnte einfache Naturbeobachtung zu der Feststellung geführt haben, daß ein Falke den Soma = Honig = die Wabe brachte. Hierzu würde der folgende Vers passen: „Davoneilend trägt er in seinen Krallen die schöne, jungfräuliche, glänzende Ambrosia, durch welche das Leben verlängert und die Todten wieder zum Leben gebracht werden.“ (RV 10,144,5; Gubernatis 1874:479). Wer aber ist der Falke wirklich? Ich meine, daß der RV hierauf eine klare Antwort gibt,: „Der Falke ist deren Aditi“ (RV 5,44,11) und Aditi, wie Geldner erläutert, die Göttermutter und Urmutter der Welt. Aditi scheint die eigentliche Spenderin des Honigs zu sein; denn es heißt: „Soma ist im Schoß der Aditi zustande gebracht“ (RV 9,71,5); und ferner, das androgyne Wesen betonend: „Der Bulle hat für den Bullen durch Melkung seine Himmelsmilch melken lassen, der jüngste (Sohn) der Aditi“ (RV 10,11,1). Derlei Verknüpfungen von Honig oder Soma mit der Großen Mutter führen meiner Meinung nach direkt in die religiöse Vorstellungswelt der Harappakultur, in der die Wabe der Felsenbiene wahrscheinlich große rituelle Bedeutung hatte (s. V,5). Schon Roscher (1883:29) verweist auf den Zusammenhang von Bienen oder Vögeln und dem von ihnen aus dem Himmel oder Paradies herbeigebrachten Honig oder Göttertrank in indisch-persischen, germanischen und finnischen Vorstellungen. Darstellungen, die wesentliche Merkmale von Biene (Wespentaille, vier Flügel) und Vogel (Schnabel, zwei Beine, zwei Flügel) vereinen sind schon aus minoischer und frühägyptischer Zeit bekannt (Abb. 26-29).
Abb. 25: Der Honigbussard | Abb. 26-29: Darstellungen, die wesentliche Merkmale von Biene und Vogel vereinen. |